FARC-Version über Tod der Geisel öffnet viele Fragen

Vor drei Tagen gab die Guerilla FARC bekannt, dass 11 in ihrer Gewalt befindlichen Geiseln im Kreuzfeuer eines Gefechts zu Tode kamen. Weder benannten sie die Einheit, gegen die sie gekämpft haben sollten, noch den Ort. Dennoch war die FARC sehr bestimmt in der Feststellung, dass die Verantwortung für den Tod der Geiseln Uribes Politik der Befreiung derselbigen mit militärischen Mitteln habe. Diese Nachricht traff Kolumbien völlig unvorbereitet, offizielle Stellen hatten am ersten Tag keine weiteren Informationen als das, was die FARC mitteilte. Ganz zu anfang hoffte man, diese Meldung sei ein schlechter Scherz eines Unbekannten, der im Namen der FARC die Nachricht in die Ether-Welt gesetzt hätte. So unvorbereitet traff die Mitteilung die offiziellen Stellen.

Heute, drei Tage danach, wissen sie auch nicht viel mehr. Die Mitteilungen der Regierung beschränkten sich seit der offiziellen Bestätigung durch die Guerilla darauf, dass keine Gefechte am 18. Juni, der Tag auf den die Guerilla die Tode datiert, in den militärischen Berichten festgehalten sind und auch unbekannt sei, wo die Leichen der Geiseln versteckt sind. Die Regierung spricht vom gezielten Mord, allerdings kann sie diese Behauptung nicht beweisen. So rufen seit dem 28. Präsident und Regierung die internationale Gemeinschaft auf, die FARC für die Morde an den Geiseln zu ächten. Uribe bat die Organisation Amerikanischer Staaten um eine Kommision, die die Leichen, sobald sie übergeben worden seien, kriminalistisch untersuchen und die Wahrheit über deren Tod ermitteln sollte.

Denn was wirklich passiert ist und warum, wird mit weiter schreitender Zeit immer rätselhafter und bietet viel Raum für Interpretationen oder Unterstellungen.

Zunächst einmal zu den Ereignissen. Die FARC teilt mit, die Gefangenen seien während eines Gefechtes mit einer unbekannten Truppe in die Schußlinie geraten. Die Regierung weiß von keinem Gefechten. Wem sollen wir glauben? Hierzu die folgenden Fragen:

– Warum erfährt die Öffentlichkeit erst 10 Tage nach dem Tod der Geiseln davon? Am gleichen 18. Juni, dem Todestag der elf Geiseln, traffen sich in Genf Vertreter der FARC mit Abgesandten aus der Schweiz, Spanien und Frankreich, den europäischen Ländern die sich als Vermittler bemühen. Kein Wort wurde über die Ereignisse verloren.

– Warum nahm die Guerilla, wenn sie auf der Flucht war, die Leichen mit? Die Taktik der FARC ist es, im Falle eines Angriffs sich in die Wälder zurück zu ziehen. Daher erschiessen sie die Gefangenen um bei der Flucht nicht aufgehalten zu werden . Dies ist übrigens das Hauptargument der Angehörigen der Geiseln und vieler Kolumbianer gegen eine militärische Befreiung der Geiseln. Nicht die prinzipiell Furcht, die Geiseln könnten in die Schußlinie geraten, vielmehr die Kenntnis darüber, dass die Guerilla ihre Geiseln erschießen um eine Befreiung zu verhidern.

– Warum nennt die FARC die Einheit nicht, mit der sie gekämpft haben soll? Das ist äußerts unüblich, ist die FARC doch bemüht die militärischen Aktivitäten der Regierung so schnell wie möglich bekannt zu machen und Uribe als Kriegstreiber darzustellen.

– Warum waren soviele Geiseln zusammen? Es ist eine Taktik der FARC immer nur 3 – 5 Geiseln in einer Gruppe zu haben. So wird verhindert, dass im Falle einer gelungenen Befreiung viele der Geiseln auf einmal frei kommen.

– Warum nennt die FARC aus vermeintlichen Sicherheitsgründen nicht, welche Gebiete geräumt werden sollen um die Leichen zurück zu geben? Wenn die Regierung angeblich weiß, wo gekämpft wurde, da sie die Geiseln beim Versuch der Befreiung versehentlich erschossen haben soll, warum diese Geheimhaltung?

Die einfachste Erklärung für eine bewaffnete Auseinandersetzung wäre, dass die FARC-Truppen auf Gruppen der ELN oder der Paras gestoßen sind und versehentlich davon ausgingen, dass es ein Versuch sei, die Geiseln frei zu kämpfen. Das würde wenigstens das Feuergefecht erklären. Dass die FARC dann in ihrer Botschaft Uribes Politik dafür verantwortlich machen, nun das ist die übliche Propaganda die wir schon kennen. Aber erklärt es all die anderen Fragen?

Die Ungereimtheiten führen die meisten Kolumbianer davon aus zu gehen, dass die FARC die Geiseln erschossen haben und nun versuchen, sich irgendwie aus der Verantwortung zu schleichen. Sie führten auch dazu, dass Frankreich, Spanien und die Schweiz nun vehement fordern, dass sowohl Regierung als auch Guerilla dem Willen, zu einer verhandelten Freigabe aller Geiseln, Taten folgen lassen und aufhören müssen, unerfüllbare Forderungen zu stellen. Letzteres dürfte sich auf die ständig wiederholte Forderung der FARC, zwei Zonen im Südwesten Kolumbiens von Staatstruppen zu räumen. Eine Forderung, von der sie wissen, dass Uribe sie nicht annehmen kann. Ungewohnt auch die Stellungnahme von Amnesty International, die nicht gerade zu den Uribe Freunden zählt. Sie rief die FARC und die ELN dazu auf, alle Geiseln unmittelbar frei zu lassen und erinnerte daran, dass die Gesundheit und das Leben der von den Guerillas Festgehaltenen alleinige Verantwortung der Gruppe ist, die sie festhält.

Auch die ELN überraschte, in dem sie der FARC vorschlug nun als Ausweg aus der Krise einen Waffenstillstand und eine Freilassung aller Gefangenen an zu streben, ähnlich wie diese kleinere Guerilla Gruppe es im Augenblick mit der Regierung verhandelt.

Aber, so die zweite Frage, was kann die Guerilla dazu bewegen, 11 Geiseln zu erschiessen? Auch hierfür gibt es verschiedene Theorien. Für die Außenstehenden sind sie vielleicht nicht gleich zu verstehen, denken sie doch die FARC sei eine geschlossene Einheit, deren Mitglieder und Kämpfer alle einer Meinung sind, Strategien und Politik von allen geteilt werden. Davon ist nicht aus zu gehen. Auch eine einheitliche Ideologie dürfte nicht zu Grunde liegen. In der kämpfenden Truppe sind viele dabei, für die das Mitmachen bei der Guerilla die Alternative zum verhungern ist oder die Garantie, dass ihren Angehörigen von der Guerilla nichts angetan wird. Von Robin-Hood-Romantik „wir nehmen von den Reichen und geben es den Armen“ ist schon lange wenig übrig. Die Guerilla von heute kennt viele Motivationsfaktoren. Für einige von ihnen (wahrscheinlich die ältesten und kleinere Zahl) geht es noch um soziale Probleme, um die ideologische Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Andere (wahrscheinlich die jüngeren und vor allem die Mehrzahl) sehen die Kontrolle des Drogenhandels als ihren Motivator.

Zwischen diesen Gruppen scheint es zu Richtungskämpfen gekommen zu sein. Nach außen hin gilt noch Manuel Marulanda als die entscheidende Stimme der Guerilla. Er wird noch von Reyes, Jimenez, Marquez, Briceño, Cano und Rios beraten, dem sogenannten Sekretariat der FARC. Doch dieses Sekretariat scheint sich nicht einig zu sein. Es ist schon einige Male vorgekommen, dass Cano als neuer Führer des Sekretariats genannt wurde. Es folgte zwar immer das Dementi auf den Fuß, das versicherte, dass Marulanda immer noch der Kopf sei und im Falle seines Ablebens er von einem „Trium Virat“ beerbt werden würde, gebildet durch Reyes, Cano und Briceño. Trotzdem werden die Änderungen in der Führung von Beobachtern ernst genommen, da die FARC vor kurzem ihr neunte Generalkonferenz durchgeführt haben, bei der es u.a. um die Stärkung der neuen Führungsriege gegangen sein soll.

Es ist bekannt, dass es innerhalb der Führung Auseinandersetzungen um die richtige Politik gegenüber Uribe geht. Die Welt hinterfragt die Richtigkeit Uribes Politik. In den fünf Jahren seiner Amtszeit ist er der Lösung des Problems FARC oder der Freilassung der FARC-Geisel keinen Schritt näher gekommen. So sehen wir das. Aber die Guerilleros können das anders sehen. Sie haben Uribe nicht schwächen können. Hatten sie mit Pastrana noch einen Präsidenten, dessen Bereitschaft zu Verhandlungen sie gnadenlos ausnutzten, prallen sie bei Uribe an eine Mauer. Seine Politik, die Soldaten wieder aus den Kasernen zu holen, wohin sie Pastranas Bemühungen, es der FARC recht zu tun, gebracht hatte, hat die FARC wieder in die Urwälder zurück gedrängt. Die anfänglichen Versprechungen der Führung, man würde Uribe bald hinter sich bringen und seine Politik der nationalen Sicherheit zu Fall bringen, sind nicht eingetreten. Die kämpfenden Einheiten beginnen sich zu fragen, ob ihre Führung zu wenig unternimmt. Sie werden ungeduldig. Soll man Uribe stärkeren Druck aussetzen? Manche meinen Ja. Die gemäßigteren sehen Uribes einseitige Freilassung von über 150 gefangenen Guerilleros unter ihnen auch einen der führenden Köpfe (Granda) als ein Zeichen, dass ihre Politik Früchte zu tragen scheint. Den Radikaleren mag dies falsch erscheinen, konnte Uribe doch dadurch im Ausland punkten und sogar die G-8 Staaten dazu bringen, Unterstützung für seine Politik zu zu sagen. Die Bemühungen Frankreichs, Spaniens und der Schweiz schienen einen Einsatz von Blauhelmen denkbar zu machen um dem Wunsch der FARC nach entmilitarisierung zweier Zonen im Cauca nach zu kommen und gleichzeitig Uribe Versprechen einzuhalten, dass er der FARC keine Kontrolle über staatliches Gebiet geben würde.

Kenner der FARC sagen, dass die Geiseln Opfer dieses Machtkampfes wurden und von einer radikaleren Gruppe ohne Absprache ermordet wurden. Dies um Uribe klar zu machen, dass sie nur den kompleten Abzug aller militärischen Einheiten akzeptieren, ohne Blauhelme. So könnte auch die neuerliche Forderungen verstanden werden, dass die Leichen nur übergeben werden, wenn ein bestimmtes, noch nicht benanntes Gebiet entmilitarisert wird. Hatte die FARC in der ersten Mitteilung noch den Angehörigen ihr Beleid für den Tod ihrer Lieben zugesagt und versprochen alles mögliche zu unternehmen, um die Leichen schnell zurück zu geben, stellen sie nun wieder Bedingungen dafür auf, von denen sie wissen, dass Uribe sie nicht akzeptieren kann. Doch sie hoffen auf die kurzlebigen Empörung der Kolumbianer, die nach einem ersten Schock bald wieder Druck auf Uribe machen würden, auf die Wünsche der FARC ein zu gehen, aus der Hoffnung, die Entführten bald frei zu haben und weitere unschuldige Opfer zu vermeiden.

Hat die FARC die Reaktion der Menschen richtig eingeschätzt? Am kommenden Donnerstag finden landesweite Demonstrationen statt, für die Freilassung der Geiseln und die schnelle Wiedergabe der Leichen. Wir dürfen gespannt sein, ob der Ton dieser Kundgebungen Uribes Position stärken oder von ihm verlangen, auf die Forderungen der FARC einzugehen.