Gustavo Moncayo – Achterbahn der Gefühle

Gustavo MoncayoGestern war es endlich soweit. Nachdem ich bereits 2 Mal über den „caminante de la paz“ geschrieben hatte, bekam ich gestern die Möglichkeit Gustavo Moncayo bei einem Interview persönlich kennenzulernen.

Schon als er das Zelt auf dem Plaza Bolivar (seine derzeitige Unterkunft) betritt, spüre ich die Ruhe und Wärme, die er ausstrahlt. Er kommt direkt auf mich zu und begrüßt mich sehr herzlich und mit einem Lächeln über das ganze Gesicht. Ein kleiner Mann, dessen Haar innerhalb von wenigen Monaten ergraut ist – von den vielen Sorgen, sagt er. Ein Mann, der seit Oktober letzten Jahres Ketten um den Hals und um die Arme trägt, um auf die Geiselnahme seines Sohnes Pablo aufmerksam zu machen. Ein Mann, der sich kreuzigen wollte und dessen Kinder ihn gerade noch davon abhalten konnten. Ein Mann, der einen langen Weg antrat und aus der Achterbahn der Gefühle wohl lange nicht herauskommen wird.

Gustavo erzählt vom Beginn seiner Reise, von dem Tag, an dem er entschloss nach Bogota zu gehen. An der Seite seiner jüngsten Tochter Yuri beginnt er seinen Protestlauf am Vatertag (17.06.). Fast schon poetisch beschreibt Gustavo die ersten Tage des Weges: „Wir waren sehr traurig und geschafft – es wehte ein kalter, aber auch erfrischender Wind.“ Trotz oder gerade wegen dieser Traurigkeit beschlossen die beiden die Natur und die Schönheit ihres Landes zu erleben und zu genießen. „Und so sogen wir alles in uns auf: Wie die Sonnenstrahlen die Wolken durchbrechen und sich der Weizen im Wind bewegt …“

Besonders haben ihn die Menschen fasziniert, die er auf seinem Weg getroffen hat. Menschen, die ihm zu Essen und einen Schlafplatz gaben, obwohl sie selbst kaum etwas hatten, Kinder, die unbedingt ein Foto mit ihm machen wollten, ganze Dörfer, die auf seine Ankunft warteten und ihn mit den Worten „Das Volk steht hinter Dir!“ empfingen, Menschen, die ihm Geschenke gaben und ihm Kraft wünschten für seinen langen Weg.

Welcher Weg denkt er ist der Schwierigere, frage ich Gustavo. Der phyische, der hinter ihm liegt, oder der, den er angetreten ist, als er Bogota erreichte. Seine Antwort ist deutlich: Der, der noch vor mir liegt!“

Auf ihm lastet eine große Verantwortung, denn mit seinem Marsch ist er nicht nur zur Symbolfigur für eine humanitäre Lösung geworden – vielmehr ist er seit dem der Hoffnungsträger vieler Familien… und er ist sich dieser Verantwortung sehr bewusst. Immer wieder geht er aus dem Zelt, um zu den Menschen, die draußen im Regen auf ihn warten, zu sprechen.

Als er wieder herein kommt, zeigt er mir Fotos. „Schau Dir die einmal an, während ich Dir meine Kontaktdaten aufschreibe.“ Als ich die Bilder sehe, bleibt mir der Mund offen stehen: Ein Bild zeigt Gustavo und Raul Reyes (einer der ranghöchsten Farc-Mitgleider). „Sie haben sich mit der Farc getroffen?“ Platzt es aus mir heraus. Dazu ist zu erklären, dass es während der Präsidentschaft von Pastrana (1998 – 2002) eine entmilitarisierte Zone gab, in der Friedensverhandlungen (leider ohne Ergebnis) stattfanden. Dort haben sie sich getroffen und über Pablo gesprochen.

Ich kann es einfach nicht glauben und frage weiter, was sie ihm gesagt haben. Warum haben sie Pablo nicht mit den anderen aus seiner Gruppe 2001 freigelassen? „Es geht nach dem Rang der Militärs“ antwortet Gustavo kurz.

Ich frage ihn weiter, was er von anderen Ländern z.B. von Deutschland erwartet. Wie könnten die Deutschen helfen?
Seine Vorstellungen sind klar: Er möchte nach Europa reisen, um die Länder zu bitten bei der Resozialisierung von Entführten und gefangenen Guerilla-Mitgliedern zu helfen. „Denn was macht ein Guerillero, der aus dem Gefängnis kommt, keine Arbeit, nichts zu Essen und keine Perspektive hat?“ Die Antwort ist leicht, oder?

Ich sitze immer noch im Zelt von Gustavo Moncayo, habe mich auch mit einigen „Mitläufern“ über ihre Geschichte unterhalten und bin fasziniert von ihrer Willenskraft und ihrem Glauben, ihre Verwandten bald wieder bei sich zu haben – da nimmt der Tag eine Wende, die uns alle, die wir im Zelt sitzen die Realität noch näher bringt, als sie sowieso schon ist. Wir bekommen die Nachricht, dass der Ehemann einer Frau, die Gustavo auf seinem Weg ein langes Stück begleitet hat und auch hier mit ihm im Zelt wohnt, von der Farc ermordet wurde.

Gustavos Lächeln schwindet – die Verzweiflung ist in seine Augen deutlich zu sehen. Er weint nicht – ich glaube, er kann nicht mehr weinen. Was in ihm vorgehen muss, kann wohl kaum jemand nachvollziehen. Mir steigen die Tränen in die Augen und ich hoffe sehr, dass er unsere tiefe Betroffenheit und unser Mitgefühl spürt.

Einen langen Weg ist er gegangen – und ein schwieriger Teil liegt noch vor ihm.

Mich beschäftigen noch viele Fragen, die Gustavo mir sicherlich bald noch beantworten wird. Aber heute, nachdem bekannt wurde, dass nicht einer, sondern 2 Geiseln erschossen wurden, frage ich mich: Ist das die Antwort der Farc auf die Vorschläge des Präsidenten? Warum jetzt? Warum?