No más FARC – das war deutlich!

No más FARC - Demonstration auf der 127
Mein Treffpunkt ist um 12 Uhr an der Kreuzung zwischen der Strasse 127 und der Carrera 7. Verabredet bin ich mit allen Mitbürgern, die von 12 bis 14 Uhr ihre Stimme gegen die FARC erheben wollten. Das Besondere an dieser Veranstaltung: Sie wurde nicht von Politikern, Parteien oder irgendwelchen Vereinen organisiert. Der Aufruf dazu kam von einer Gruppe junger Facebook-Nutzer, die ihren Unmut über die Show um die Freilassung Clara Rojas, Consuelo Gonzales und vor allem des kleinen Emmanuel zunächst über eine Sammlung von Stimmen gegen die FARC via Internet äußern wollten. Schnell kam die Erkenntnis, dass sie einen Nerv getroffen hatten und dass die Demonstration gegen die FARC nicht virtuell im Netz bleiben sollte, sondern auf die Straße gehört.

Wie viele werden wir heute sein? Die Erwartungen sind hoch. Daher haben in den letzten Tagen Politiker und Parteien auf den fahrenden Zug springen wollen und ihre eigenen Aufrufe und Parolen einzubringen versucht. Kurz vor dem Start der Demonstration mussten die Initiatoren des Aufrufs an die Öffentlichkeit treten und die Parteien bitten, diese Veranstaltung nicht zu instrumentalisieren. Sie ist als eine Bewegung der Kolumbianer gedacht, die egal welchen Alters, welcher politischen Ausrichtung auch immer nur eines eint: der Welt zu sagen, dass die Kolumbianer die FARC nicht wollen und diese auch keineswegs die Armee des Volkes oder gar sein legitimes Sprachorgan sind.

„Colombia soy yo – Kolumbien bin ich“ war der Schriftzug der weißen T-Shirts, die die meisten Menschen trugen. Besser konnte die Parole in diesem Zusammenhang nicht gewählt worden sein. Kolumbien ist nicht seine Politiker oder Parteien, Kolumbien ist schon gar nicht ein ausländischer Präsident, der den Kolumbianern vorschreiben will, die Bedingungen der FARC zu akzeptieren.

Wie viele werden wir sein? Ich radle um 10:30 los, da ich erwarte, dass doch einige kommen werden. Meine Hoffnungen werden schon wenige Meter von meinem Haus weg mehr als übertroffen. Ãœberall stehen Menschen in weißen Hemden oder T-Shirts, tragen weiße Nelken, gruppieren sich und gehen Richtung Treffpunkt. Mein Fahrrad muss ich 800 Meter vor dem Treffpunkt abstellen. Zu dicht sind hier die Menschenmengen. Für die nächsten 800 Meter benötige ich fast 90 Minuten. 90 Minuten purer Leidenschaft! Um mich herum Menschen aller Altersgruppen. Junge und Alte winken mit weißen Taschentüchern wenn sie „No más FARC – Keine FARC mehr!“ rufen. Es kommt aus voller Lunge und vom Herzen, aber die Gesichter der Menschen sind ohne Hass und strahlen Freude und Zusammenhalt aus. Ebenso, wenn sie spontan die Nationalhymne einstimmen, die immer mit Applaus beendet wird. Es ist für alle eine Erfahrung, dass sie die Akteure dieses Tages sind. Ihre friedliche, aber bestimmte Meinungsäußerung sollte in aller Welt gesehen werde. Ich bedauere wirklich, dass das Ausland und gerade das von mir so geschätzte Europa diese Stimmung wahrscheinlich nicht erfahren wird.

„Colombia soy yo“, mir wird bewusst, wie falsch das Kolumbien-Bild im Ausland ist. Für das Ausland ist Pablo Escobar das prägende Bild oder die Schlagzeile, dass in Kolumbien Fußballspieler erschossen werden, weil sie ein Eigentor schießen. Politisch Interessierte denken vielleicht noch, dass die FARC berechtigte Interessen des Volkes vertreten. Zwar mit Gewalt, aber bitte schön, es ist doch für eine gute Sache und außerdem zählt in Kolumbien ein Menschenleben ja nicht viel.

Wer so denkt, sollte heute dabei gewesen sein, in Bogota haben an die 2 Millionen Menschen demonstriert. In Medellin waren es um die 500.000, in den kleinere Städten jeweils zehntausende. Sie alle waren mit viel Freude und vor allem voller Respekt füreinander dabei.

Auch die Bilder aus den anderen Städten rund um den Globus zeugen von der Ernsthaftigkeit, mit der die Teilnehmer ihrer Überzeugung Ausdruck geben und doch gleichzeitig fantasievoll und mit Lebenslust der Welt zeigen: Colombia soy yo! Und Kolumbianer wollen den Frieden.

Ich versuche, mich in die Köpfe der FARC-Führung zu versetzen. Was wird wohl in ihnen vorgehen, wenn sie diese Massen sehen, die alle das gleiche sagen: Colombia soy yo und nicht die FARC. Die Rückseite aller T-Shirts trägt die kolumbianischen Farben mit den Inschriften: Keine Entführungen mehr, keine Lügen mehr, keine Toten mehr, keine FARC mehr. Wie wollen sie weiterhin behaupten, dass sie die legitimen Vertretern der Kolumbianer sind. Sicher, sie haben versucht, im Vorfeld diese Demo als eine vom Staat gelenkte und manipulierte Veranstaltung darzustellen. Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass solche Mengen kommen würden und es keine Ansprachen geben würde. Politiker haben sich einfach ein weißes T-Shirt über gezogen und sind mitmarschiert. Sie waren auch nur Kolumbianer. Manche Beobachter sagen, dass die Ankündigung, drei weitere Geiseln freilassen zu wollen, zeitlich genau gemacht wurde, um den Menschen zu zeigen, dass es keiner Demos bedarf, weil die FARC doch human sind. Sollte es so gewesen sein, könnte diese grobe Fehleinschätzung nur belegen, wie weit die FARC von „ihrem“ Volk ist: Keine Lügen mehr! Die Menschen sind unbeirrt auf die Strasse gegangen. Entscheidender noch: Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie wirklich das Volk sind, und scheinen motiviert zu sein, weiterhin auf die Strasse zu gehen, wenn es denn so sein soll.

Das es dazu weiterhin kommen kann, dafür spricht Chávez‘ Äußerung, Venezuela grenze nicht an Kolumbien, sondern an die FARC. Diesen Spruch brachte er heute, während einer Erklärung, dass Venezuela bereit ist, die nächsten drei Geiseln von der FARC zu empfangen. Das sagte er, nachdem er die Ausmaße der Demonstrationen der Kolumbianer weltweit kannte. Auch bei ihm in Cáracas wurde demonstriert. Es waren nur einige Hundert Demonstranten, jedoch waren viele von ihnen Venezolaner. Auch bei den Demonstrationen in den kolumbianischen Grenzstädten zu Venezuela kamen hunderte von Venezolaner rüber, um ihre Solidarität zu beweisen. Ob er es mit diesen Sprüchen schaffen sollte, die kolumbianische Ablehnung der FARC zu verdecken? Wohl kaum, aber das ist ein anderes Kapitel.

Dass heute demonstriert wurde und die Kolumbianer ihre friedliche Einheit und Stärke entdeckt haben, das haben wir auch Chávez und seiner unbedachten Show zu verdanken. Ob er versteht, dass er der Funke dafür war, dass weltweit die Kolumbianer diesen Tag als einen der größten ihrer jüngsten Geschichte in Erinnerung behalten werden? Der TAG an dem sie deutlich gesagt haben: Ich bin Kolumbien!