Ingrid wirklich in Freiheit

So wie ich saß während der letzten eineinhalb Stunden wohl ganz Kolumbien vor dem Fernseher um die ersten Bilder Ingrids in Freiheit zu sehen. Bilder, die die fast unglaubliche Nachricht ihrer Befreiung fassbar machen. Kein Märchen: Sie ist frei und ihr Gesundheitszustand ist erstaunlich gut. Mit ihr sind auch die drei amerikanischen Geiseln und 11 Angehörige der kolumbianischen Streitkräfte befreit worden.

Die Befreiung selbst, in manchen ausländischen Medien fälschlich als Kampfhandlung dargestellt, ist ein wahrer Streich der Streitkräfte gewesen, nach einem Drehbuch das einem James Bond Filmes würdig wäre.

Die aktuelle missliche Lage der FARC nutzend, Kapital aus der aktuellen Führungs- und Kommunikationskrise innerhalb der Guerillaorganisation ziehend, gelang es dem Militär ihr Personal unter die Guerilla-Einheiten zu schleusen, die für die Bewachung der Geiseln zuständig waren. Sie gewannen das Vertrauen der lokalen Führer, gaben sich mittels gefälschter Befehle und Dokumente (Vorlagen entstammten den „berüchtigten“ Reyes-Computer) als Gesandte der obersten FARC-Führung aus. Ihr Auftrag: die sich in mehreren Lagern befindlichen 15 Geiseln zusammen zu führen und zu einem bestimmten Ort aus zu fliegen, wo Cano, der neue Befehlshaber der FARC, sie in Empfang nehmen würde. So wurden die Geiseln zusammen und in Handschellen in zwei Hubschrauber gebracht. Begleitet wurden sie vom Kommandant der FARC-Gruppe. Einmal in der Luft, so erinnert sich Ingrid, sei etwas passiert. Da sie enttäuscht ihren Gedanken nach ging, merkte sie nur auf einmal wie ihr Peiniger über mehrere Jahre plötzlich nackt auf dem Boden lag und einer der Piloten sagte: „Wir gehören den kolumbianischen Streitkräfte an. Ihr seid in Freiheit!“ Laut Ingrid drohte nun der Hubschrauber in den folgenden Minuten abzustürzen, so sehr seien die Befreiten in ihrer Freude herum gesprungen. Die Aktion, bei der kein Schuss abgegeben wurde, bezeichneter sie in Spanisch und Französisch als perfekt.

Als wäre die Geschichte nicht schon unfassbar genug, versetzte Ingrids erster Auftritt nach so vielen Jahren der Gefangenschaft, in freudiges Erstaunen. Als wäre sie nicht über 6 Jahre im Dschungel vergraben gewesen, beantwortete sie alle Fragen mit Geduld, Emotionen und voller politischen Weisheit. Sie scheint über alles bestens informiert zu sein und ihre Antworten werden vielen zum Nachdenken geben.

So sagte sie u.a.:

– Die Geiseln befürworten militärische Befreiungsaktionen. Ihnen ist es lieber bei einem Befreiungsversuch zu sterben, mit dem Gefühl der Freiheit näher gekommen zu sein, als im Urwald zu verrotten und eventuell von einer nicht nachvollziehbaren FARC-Jusitz hingerichtet zu werden. Hier erinnerte sie ausdrücklich an die 11 Abgeordneten des Departments Valle, welche vor einem Jahr ermordet wurden. Sie widersprach damit auch ihrer, neben ihr stehenden Mutter, die Uribe, wegen seines Festhalten an einer militärischen Aktion als eine mögliche Option, immer stark kritisierte.

– Chavez und Correa sind als Vermittler für weitere Befreiungen wichtige Personen. Sie müssen aber akzeptieren, dass das kolumbianische Volk Uribe und nicht die FARC als ihren Regenten gewählt haben. Daher sollten sie die kolumbianischen Institutionen respektieren. Ein Frieden ist für sie nur unter Bewahrung der kolumbianischen Demokratie und ihrer Institutionen möglich.

– Der wichtigste Schlag gegen die FARC sei die Wiederwahl. Bisher sei der zyklische Amtswechsel der Präsidenten für die FARC eine Zeit gewesen, sich wieder zu organisieren und Kraft zu gewinnen. Dass durch die Wiederwahl diese Einarbeitungszeit einer Regierung wegfalle, hätte den Druck auf die FARC ohne Unterbrechung aufrecht gehalten und ihnen die zeit der Erneuerung geraubt.

– Uribe sei der Präsident gewesen, den Kolumbien in dieser Zeit gebraucht hätte. Nicht nur, dass er die FARC zurückgedrängt habe, auch dass er die PARAs entwaffnete, sei etwas, was sie sich als Präsidentin nicht zugetraut hätte.

– Die FARC scheinen in den Augen der Geiseln große Probleme zu haben und unter starkem Druck zu stehen. Die Logistik leide sehr, Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente seien nur seit einem Jahr nur schwer zu bekommen.

Für mich hat sich heute eine starke Frau zurück gemeldet. Ingrid zeigte aus welchem Holz sie gemacht ist und dass sie bald wieder eine wichtige Rolle in Kolumbien spielen wird. Ich freue mich darauf.